DAS GUMMI VOR DER ZERREISSPROBE

Wie gut schützen Kondome? Und brauchen wir sie überhaupt noch? – Informationen und Anregungen zum Nachdenken über den Gebrauch von Kondomen in Zeiten von New Safer Sex

Eine Info für Männer, die Sex mit Männern* haben, sowie für Trans- und Inter-Personen*



 

Brauchen wir Gummis heute noch? – Das Kondom hat schon immer Diskussionen ausgelöst. Früher war es (mehr oder weniger) die einzige Möglichkeit, beim Sex HIV-Übertragungen zu verhindern. Heute gibt es weitere Strategien neben oder zusätzlich zum Kondomgebrauch. Das ruft Unsicherheiten hervor, wirkt teils unüberschaubar und wirft Fragen auf: Wir versuchen mit diesem Text ein Kondom-Update im Lichte von PrEP und UN­DE­TECT­ABLE als Möglichkeiten von Safer Sex ohne Kondom sowie PEP als Notfallmaßnahme. Wir diskutieren die Frage “Welchen Platz hat das Kondom?” ausführlich und mit der Haltung, dass jede persönliche Entscheidung für Kondombenutzung zu begrüßen ist.

Konsequent und richtig benutzt schützen Kondome nämlich sehr gut vor HIV und ziemlich gut vor anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI). Allein eingesetzt kann es das (für HIV und STI zusammen) auch besser als andere Safer-Sex-Methoden. Über die tatsächlichen Sicherheitslücken und die empfundenen Nachteile von Kondomen wird allerdings nicht oder oft nur unsachlich diskutiert. Auch darüber, dass es unabsichtlich oder bewusst weggelassen wird, fehlt Auseinandersetzung. Das wollen wir mit diesem Text ändern. Denn: Nur wer das Für und Wider kennt, kann einschätzen, wann Kondome gut funktionieren und wann nicht. Was passt in welchen Situationen? Gibt es sichere und praktikable Alternativen? Stimmt alles, was wir über Gummis im Kopf haben?

Dieser Text unterliegt ständiger fachlicher und medizinischer Qualitätskontrolle: → Love Lazers Fachbeirat

Infektionsrisiken beim Sex (HIV)

Jedes Jahr finden HIV-Neuinfektionen durch Übertragung auf sexuellem Wege statt. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Bei Männern* die Sex mit Männern* (MSM) haben sind das in der BRD stabil etwa 1.700 Neuinfektionen (von ca. 3.400 insgesamt) und in der Schweiz fallen etwa die Hälfte aller Neuinfektionen (von ca. 550 insgesamt jährlich) auf die Gruppe der MSM*. Auch wenn das individuelle Risiko sehr unterschiedlich sein mag: Für sexuell aktive Angehörige dieser Gruppe ergibt sich aus oben genannten Zahlen ein reales HIV­-In­fek­tions­ri­siko.

WER UNDETECTABLE IST, KANN KEIN HIV ÜBERTRAGEN

Seitdem weitgehend und effektiv behandelt wird, ist die Viruslast vieler HIV-Positiver unter Nachweisgrenze, man sagt dazu auch UN­DE­TECT­ABLE. Bei ihnen ist das Virus im Blut nicht mehr nachweisbar und sie sind nicht infektiös. Das muss durch Bluttests bestätigt und dann regelmäßig kontrolliert werden. Wie wir seit kurzem wissen (aus der Partner-2-Studie, 2018), ist diese Methode auch sicher, wenn parallel eine andere STI vorliegt (die das Risiko einer HIV-Übertragung eigentlich erhöht).

Egal bei welcher Praktik: Beim Sex mit jemanden, die*der un­de­tectable ist, ist eine HIV-Übertragung unmöglich. Das Risiko liegt bei Null.

UN­DE­TECT­ABLE ist somit neben Kondomgebrauch eine weitere Safer-Sex-Methode! Du findest alle Infos dazu auf love­lazers­.org/­de/­hiv­-undetectable-schutz­-durch­-therapie.

NICHT UNDETECTABLE: WELCHE RISIKEN?

Ob das Virus in den Blutkreislauf bzw. das Lymphsystem gelangt, hängt sehr von den Sexpraktiken ab. So kann beim Arschficken HIV eher übertragen werden als beim Blasen, wo das Risiko verschwindend gering ist (das gilt auch bei Aufnahme von Sperma in den Mund). Generell ist das Infektionsrisiko beim Sex geringer als bei anderen Übertragungswegen wie Bluttransfusionen oder Tauschen von Spritzbesteck. Das Virus wird nicht (wie viele glauben) jedes Mal übertragen, wenn man unsafen Sex hat. Das Risiko steigt oder sinkt je nach Sex-Praktik und weiteren Faktoren.

Angaben zu HIV-Übertragungswahrscheinlichkeiten bei einzelnen Praktiken können nur verallgemeinert angegeben werden. Du findest einige statistische Angaben hier: hivandmore.de, bashh.org (S. 10), rki.de. Für Deine persönliche Situation ist das nicht immer aussagekräftig, da viele verschiedene Faktoren das Übertragungsrisiko erhöhen oder verringern können.

Man weiß heute, dass frisch infizierte Personen aufgrund der Immunreaktion des Körpers in den ersten Wochen/Monaten eine sehr hohe HI-Viruslast haben können. Das hat zur Folge, dass die Infektiosität um ein Vielfaches erhöht sein kann. Wer von seiner Infektion nichts weiß, kann HIV also sehr leicht weitergeben. Auch HIV-Positive, die keine antivirale Therapie machen oder nur unregelmäßig ihre Medikamente einnehmen, können das Virus übertragen.

Bottoms/Tops: Generell ist der oder die passive (aufnehmende oder auch ‘rezeptiv’ genannte) Beteiligte einem höheren Risiko ausgesetzt als die aktive (eindringende oder auch ‘insertiv’ genannte) Person beim Analsex. Dass Aktive praktisch keinem HIV-Übertragungsrisiko ausgesetzt seien, ist falsch – ein Mythos, der sich hartnäckig hält.

Beim aktiv Ficken ist für Unbeschnittene das Risiko einer HIV-Übertragung zwei- bis dreimal so hoch wie für Beschnittene – jeweils bei gesunder, intakter Vorhaut. Das liegt daran, dass die nach der Beschneidung freiliegende Schleimhaut der Eichel robuster und undurchlässiger wird. Eine Studie, die zu diesem Ergebnis kam, erhob allerdings Daten nur bei Männern, die Vaginalverkehr praktizierten. Die Aussagen lassen sich nicht eins zu eins übertragen, es wird aber angenommen, dass das Risiko für Analverkehr mglw. noch etwas höher ist (Quelle: hivandmore)

Die Beschneidung der Vorhaut reduziert das Infektionsrisiko um ca. 50%. Damit ist sie keine ausreichende Strategie, Infektionen zu vermeiden. Für einzelne Personen kann eine Beschneidung als zusätzliche Präventionsmaßnahme aber eine sinnvolle Ergänzung sein.

Infektionsrisiken bei anderen STI

Das Risiko für die Ansteckung mit verschiedenen sexuell übertragbaren Infektionen lässt sich schwer beziffern. STI sind in den letzten Jahren stärker ins Bewusstsein getreten und es wird auch mehr über sie gesprochen. Unbehandelte STI erhöhen zudem die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung. Bei STI wie z.B. Gonorrhö, Syphilis oder Feigwarzen (egal bei welchem der Beteiligten) um das Zwei- bis Fünffache und bei Vorliegen von Genitalherpes sogar um das Fünf- bis Zehnfache.

In den Medien wurde unlängst berichtet: +++ Die Fälle von Syphilis haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. +++ Lokal gibt es Ausbrüche einzelner STI wie z.B. von Hepatitis A in Berlin und anderen Ballungszentren. +++ Warnung vor Antibiotika-Resistenzen bei Gonorrhö (Tripper): In Zukunft könnten die Erreger mglw. nicht mehr behandelt werden. +++ Die HPV-Impfung (HPV = Humane Papillomaviren) wird von den Krankenkassen ab sofort auch für Jungen bezahlt. +++ Mehr als zwei Drittel aller sexuell aktiven Menschen hatten im Leben eine HPV-Infektion, ein gewisser Teil davon ist dauerhaft infektiös und kann HPV an andere weitergeben. +++

Diese unvollständige Aufzählung zeigt, dass sexuell aktive Personen dem Risiko einer STI-Infektion ausgesetzt sind. Auch wenn sich nicht genau beziffern lässt, wie hoch die Chance dafür im Einzelfall genau ist, kannst Du diese Wahrscheinlichkeit durch Dein Handeln deutlich reduzieren.

Noch einige aktuelle Ergänzungen: Hepatitis C wird nach Berichten aus einzelnen Schwerpunktpraxen in letzter Zeit vermutlich verstärkt über Arschficken ohne Kondombenutzung übertragen. Das ist dann wahrscheinlicher, wenn der Übertragende eine hohe Virusmenge (pro ml Körperflüssigkeit) aufweist und Blut im Spiel ist (Verletzungen im Arsch, am Schwanz).

Es wurde kürzlich festgestellt, dass rektal (im Arsch) auffindbare STI bei PrEP-Usern häufiger diagnostiziert werden, als bei Personen, die keine PrEP nehmen. Das mag teils daran liegen, dass durch vermehrtes Testen mehr STI gefunden werden. Gleichzeitig treten aber dort, wo weniger Kondome benutzt werden, auch mehr STI auf.

Wie gut schützen Kondome?

“Schutz” heißt für viele: “immer”, “ganz” und “100%”. Diesen hohen Erwartungen kann das Kondom leider nicht entsprechen. Das Kondom verringert Übertragungsrisiken an der Körperstelle, wo es eingesetzt wird. Beim Blasen, Küssen, Lecken, Rimmen, – dort wo das Kondom (üblicherweise) nicht verwendet wird, hat es natürlich auch keinen Effekt. Eine Schutzwirkung besteht nur, wenn das Kondom überhaupt benutzt wird. Wer Kondome nur sporadisch oder inkonsequent anwendet, hat deutlich weniger oder gar keine Schutzwirkung mehr.

RISIKO­REDUKTION DURCH KONDOM­GEBRAUCH BEI HIV

Wenn es konsequent angewandt wird, kann das Kondom das Infektionsrisiko bei HIV um 95% reduzieren, wie 2008 (The Lancet Volume 372 issue 9635 2008) herausgefunden wurde. Das ist ganz beachtlich. Nur PrEP (tägliche Einnahme) und UN­DE­TECT­ABLE sind noch etwas sicherer. Fehlerhafter Gebrauch – in den meisten Fällen die falsche Größe – sowie Materialschäden führen nur sehr selten zu HIV-Infektionen.

STI (Syphilis, Gonorrhö) lassen die Übertragungswahrscheinlichkeit für HIV auch mit Kondom ansteigen! Umgekehrt gilt: je höher die Viruslast von HIV im Blut, desto leichter kann eine vorhandene STI übertragen werden (auch mit Kondom).

RISIKO­REDUKTION DURCH KONDOM­GEBRAUCH BEI STI

Die meisten STI werden (anders als HIV) über Schmierinfektionen (durch Körperkontakt) übertragen. Hier schützen Kondome nur bedingt. Wie effizient genau, ist schwer anzugeben, aber einige Untersuchungen helfen bei der Orientierung: Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass Kondomgebrauch das Risiko bei STI wie folgt reduziert:

  • um mehr als 90% bei Hepatitis B, Tripper (Gonorrhoe)
  • zwischen 50 und 90% bei Chlamydien, Syphilis und CMV
  • zwischen 10 und 50% bei Genitalherpes und Weichem Schanker

Keine messbare Risikoreduktion gab es bei Krätze, HPV oder Filzläusen, hier nützt das Kondom also gar nichts. Für Hep A, C, D, E gab es in dieser Studie keine Daten. Die Werte beziehen sich auf Situationen, in denen Kondome richtig angewandt wurden und nur auf die Körperregionen, die mit dem Kondom in Kontakt waren.

Andere Untersuchungen kommen zu etwas anderen Ergebnissen. Die obigen Werte geben uns jedoch eine ausreichende Vorstellung davon, dass bei einigen STI die Wirksamkeit von Kondomen gar nicht so groß ist, wie oft gedacht. Gegen Syphilis z.B. bieten Kondome eigentlich keinen ausreichenden Schutz, um eine Verbreitung nachhaltig zu stoppen. Trotzdem ist die Benutzung individuell sinnvoll. Da STI weiter übertragen werden können, ist es besonders wichtig, regelmäßig zum Testen zu gehen (siehe unten).

Viele Jahre wurde (und wird auch heute noch) kommuniziert, dass “Kondome schützen”. Wenn nicht gesagt wird, in welchem Maße, ist das missverständlich. Die meisten Menschen verstehen dann, dass das Kondom zu 100 % vor HIV und STI schütze, und wähnen sich in einer falschen Sicherheit. Wie wir oben gesehen haben, stimmt das nicht. Das ist Anlass zu einer realistischen Betrachtung und kein Grund zur Panik. Auch wenn das etwas komplizierter ist, kann jede*r verstehen, dass der Einsatz von Kondomen sinnvoll bleibt.

Sei Dir also bewusst: Du kannst mit einem Kondom Dein Risiko effektiv reduzieren, aber nicht gänzlich ausschließen. Deshalb brauchst Du eine Haltung zum Testen (siehe unten), zu einer eventuellen Behandlung, zum Besprechen mit Partner*innen und zu anderen Strategien.

Safer Sex ohne Gummi

Lange Zeit war Serosorting neben dem Kondom die einzige (und eigentlich unsichere) Methode, um Risiken individuell zu senken. Serosorting bedeutet, dass HIV-Negative ausschließlich andere (vermeintlich) Negative, und HIV-Positive wiederum ausschließlich Positive für Sex ohne Kondom finden. Menschlich nachvollziehbar (wenngleich oft ausgrenzend) hat diese Strategie nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Menschen haben sich weiter infiziert, weil nicht alle immer exakt über ihren Immunstatus (neg oder pos) bescheid wussten. Auch heute ist das noch so.

UN­DE­TECT­ABLE führte zu der vollkommen neuen Situation, dass HIV-Negative mit einem Positiven “unter Nachweisgrenze” kondomlosen Sex haben können. Das Kondom wurde zudem in festen Partnerschaften (pos + neg) nicht mehr gebraucht. Die Notfallbehandlung PEP und die medikamentöse Vorbeugung PrEP geben HIV-Negativen nun erstmals unabhängig von seinen*ihren Sex-Partner*innen die Möglichkeit, die Verhinderung einer HIV-Infektion selbst in die Hand zu nehmen. Da alle Maßnahmen mit (regelmäßigen) Tests verbunden sind, werden HIV/STI schneller entdeckt und behandelt, andere stecken sich dann nicht mehr so oft an. Und mehr Leute lassen sich gegen jene STI impfen, bei denen das möglich ist. (> TESTEN)

Mit anderen Optionen kommen – neben neuen Sicherheiten – auch neue Freiheiten, mehr Spaß und geilerer Sex. Für einige wird Sex mit Kondomen plötzlich entspannter, weil der Druck schwindet, dass “es klappen muss”. Andere kombinieren verschiedene Methoden, um ganz sicher zu gehen.

Safer Sex heißt heute: sich entscheiden können. PEP, PrEP, UN­DE­TECT­ABLE sind als Methoden hinzugekommen und Safer Sex geht generell auch ohne Kondom. PrEP (bei täglicher Einnahme) und UN­DE­TECT­ABLE sind auch mindestens so sicher wie Kondomgebrauch. Lies unsere Infos zu PrEP, PEP und UN­DE­TECT­ABLE, wenn du mehr darüber wissen möchtest.

Was spricht heute für Kondome?

Kondome haben viele Vorteile und sind effizient, das ist bekannt. Wo aber liegen die Vorteile von Kondomen im Vergleich zu anderen Safer-Sex-Methoden: Gibt es heute neue Argumente, Kondome zu benutzen? Ist Kondomgebrauch (weiter) die richtige Strategie für mich? Oder kann ich (in einzelnen Situationen oder gänzlich) meinen Safer Sex (mit PrEP oder Un­de­tect­able) neu gestalten? Um das zu beantworten, haben wir ein paar frische Aspekte, die für Kondome sprechen, zusammengetragen.

Thema STI: Mit Kondomen kannst Du notwendige Antibiotika-Behandlungen vermeiden oder reduzieren (je nach STI). Einige STI können nämlich nur mit Antibiotika wirksam behandelt werden. Eine oft mehrere Tage oder Wochen notwendige Einnahme stellt eine Belastung für den Körper dar (besonders für die Darmflora, deren Zusammensetzung Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden hat). Mehrmals im Jahr zu Antibiotika zu greifen, davon raten alle guten Ärzt*innen ab. Hinzu kommt das Problem möglicher Antibiotika-Resistenzen. An den Folgen einer Infektion mit resistenten Keimen sterben in Europa jedes Jahr etwa 23.000 Menschen.

PrEP und Un­de­tect­able schützen bei STI kaum (allerdings gehören hier regelmäßige Tests auf STI automatisch dazu), Kondome schützen besser, aber wie oben schon beschrieben auch nicht ganz (siehe Kapitel STI), regelmäßiges Testen ist notwendig.

Wenn Du Kondome konsequent anwendest, sparst Du Dir im Vergleich zu PrEP-Usern potentielle Nebenwirkungen, den Aufwand der Besorgung, der Einnahme und begleitender Termine und nicht zuletzt auch Kosten.

Mit Kondomen kannst Du Deine Sexualtität unabhängig von Pharma-Konzernen leben. Das ist für einige auch eine Frage der Einstellung. Manche wollen Pharma-Profitstreben nicht unterstützen (die Profite der Kondom-Industrie seien hier vernachlässigt). Dagegen, dass Kondome zum Widerstand gegen neoliberalen Kapitalismus werden, haben wir Love Lazers überhaupt nichts ein­zu­wen­den.

Wenn Du ein besonders hohes Sicherheitsbedürfnis hast, haben Kondome einen großen Vorteil: Sie lassen sich zusätzlich – und ohne Wechselwirkungen – zu anderen Methoden einsetzen. Das ist ist gut, wenn Du ein bisschen vorsichtiger bist als andere. Kombinieren ist aber auch gut, wenn Du in bestimmten Situationen das Gefühl hast, mehr Schutz zu brauchen: z.B. bei einer Sex-Party mit vielen Partner*innen oder in Momenten, wo vorm Sex vielleicht nicht viel gesprochen wird (Sauna, Cruising, Darkroom).

Wenn Du Kondome nicht/­falsch benutzt, hast Du gar keinen Schutz. Das ist bei PrEP anders. Wenn Du eine Einnahme vergisst, hast Du immer noch den vollen oder einen etwas geminderten Schutz, da sich der Medikamentenspiegel im Blut erst verzögert abbaut. Hier treten Probleme erst auf, wenn Du die Präparate sehr unregelmäßig (manche Ärzt*innen sagen: seltener als 4 x Woche) einnimmst. Vergisst Du Kondome oder machst einen Anwendungsfehler, ist die Bewertung des Risikos nach dem Sex einfacher. Ein begründet hohes Risiko heißt dann: sofort zur Notaufnahme und eine PEP beginnen. Das ist bei anderen Methoden nicht immer so klar zu benennen.

Für manche spielt das Gefühl von Hygiene eine große Rolle. Kondome sind eine materielle Barriere und zugleich auch ein Mittel, sich körperlich “etwas auf Distanz zu halten”. Das ist für Liebhaber*innen von blankem, gummilosen Sex vielleicht unverständlich, es gibt jedoch auch diese Bedürfnisse (vielleicht auch nur in bestimmten Mo­men­ten).

Auf Auslandsreisen sind Kondome gut verfügbar und v.a. bekannt. Wissen um PrEP oder UN­DE­TECT­ABLE sind dagegen (je nach Region) oft kaum vorhanden. Gerade wenn es Sprachprobleme gibt, sind Kondome eine bewährte Methode. Und sie lassen sich bei der Einreise ohne Probleme einführen.

Und mit einem Kondom zeigst Du, dass Du für Dich und andere verantwortlich handelst. Das verdient Anerkennung. Respektiere Gleiches bei Deinem Gegenüber auch dann, wenn er*sie andere Methoden bevorzugt. Vielleicht gibt Dir das Kondom auch Halt in Zeiten, in denen sich Vieles in Bezug auf Prävention ändert und Altes nicht mehr für alle stimmt. Dass es in dieser Situation Sicherheit gibt, ist toll!

Warum Kondome nicht benutzt werden

Kondome können – subjektiv empfunden oder objektiv vorhanden – lästige Begleiterscheinung haben: Juckreiz oder Allergien hervorrufen (latexfreie Kondome ausprobieren!), die Blutzufuhr abklemmen (einfach größere besorgen), als unnatürlich gummiartig erlebt werden (Produkte mit Aromen probieren) oder die Empfindlichkeit und damit das Lustempfinden herabsetzen (auch hier können dünnere, latexfreie Gummis helfen, Gleitgel einsetzen!). Einige finden Kondome einfach lusttötend. Dies nehmen wir so hin und bewerten es nicht.

Das Aufstreifen wird von Vielen als abtörnend empfunden (deshalb glaubt die Pornoindustrie, die Aufstreifszenen aus Pornos herausschneiden zu müssen). Du kannst versuchen, damit spielerisch umzugehen. Gemeinsames Auspacken und Aufstreifen kann auch Spaß machen! Achte v.a. auf die richtige Kondomgröße.

Und wenn Du nicht zufällig auf Scat (Kot-Fetisch) stehst: Dank der Verwendung eines Kondoms brauchst Du Dir die Scheiße nach dem Arschficken nicht vom Schwanz waschen – eine Unterbrechung weniger!

Wenn es wegen Kondomgebrauch zu Erektionsstörungen kommt, liegt das vielleicht an der Unterbrechung mit dem Wechsel der Aufmerksamkeit, an der falschen Größe oder an Nikotinkonsum beim Sex. Es kann aber auch psychische Ursachen haben. Oft liegt die Ursache im Kopf und ist Ausdruck von Anspannung, Nervosität oder Leistungsdruck. Gespräche (Freund*innen, Beratung, Therapie), oder erektionsfördernde Medikamente (Cialis®, Viagra® und Co) können helfen.

Fragt man rum, gibt es kaum jemanden, die *der beim Blasen Kondome benutzt (Sexwork ausgenommen). In Bezug auf HIV ist das Risiko auch verschwindend gering. Man kann es selbst dann vernachlässigen, wenn Sperma in den Mund gelangt. In Bezug auf STI ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion beim Blasen ohne Gummi durchaus gegeben (v.a. Tripper, Chlamydien, Syphilis, Herpes). Praxis-Tipp: Mund und Rachen nach dem oralen Verkehr mit hochprozentigem Alkohol oder Mundspülung ausspülen (ausspülen, gurgeln, ausspucken). Das senkt die Wahrscheinlichkeit einer STI-Übertragung deutlich!!!

Für einige Bottoms (passive Sexpartner*innen) ist es ein Kontrollverlust, davon abhängig zu sein, ob der*die andere das Kondom auch tatsächlich benutzt oder nur vorgibt, es zu benutzen. Dieses “Stealthing” genannte absichtliche Weglassen passiert vermutlich sehr selten, aber Missverständnisse kommen sicher öfter mal vor. Klare Ansagen vor dem Sex können helfen, dem vorzubeugen. Letztlich bringt es wenig, allein an das Verantwortungsgefühl oder den Anstand der aktiven Parts zu appellieren. Wenn Dich das als Bottom belastet, hast Du andere (zusätzliche) Schutzoptionen wie z.B. PrEP.

Wenn Du high bist, ändert sich Dein Vermögen, Risiken realistisch einzuschätzen. Du bist vielleicht eher bereit, welche einzugehen oder denkst gar nicht darüber nach und lässt das Kondom manchmal einfach weg. Das ist ein großer Nachteil. Mach Dir vorab Gedanken über den für Dich vertretbaren Schutz und setz Dir dazu klare Grenzen. Rede mit Deinen Freund*innen darüber. Versuche beim Sex nur soviel zu konsumieren, dass Du nicht Gewolltes abwehren aber auch entsprechende Abwehrsignale bei der*dem anderen wahrnehmen kannst. Kommuniziere Deine eigenen Vorsätze vorher (vorm Highsein und vorm Sex) der anderen Person. Sie weiß, woran sie ist, und kann Dich in der Situation unterstützen, diesen Vorsatz nicht zu übertreten. Wenn das (mehrmals) schief geht, denk ernsthaft über Kondom-Alternativen nach (siehe oben). Informiere Dich gut über Safer Use und benutze entsprechenden Materialien (eigenes Ziehröhrchen, eigenes Spritzbesteck). Denke bei lang anhaltendem Sex daran, Kondome halbstündig zu wechseln.

Für einige verhindert das Kondom beim Sex die Erfüllung des Verschmelzungsgedankens mit dem begehrten Gegenüber. Es lässt die Ängste nicht vergessen, sondern erinnert daran: Angst, sich anzustecken, Angst vor Zurückweisung, Angst, das auszusprechen. Es erinnert an das, was wir gern verdrängen würden.

Der Preis: Kondome könnten billiger sein. Sie sollten auch einfacher verfügbar sein, wo es zu Anbahnung und Vollzug von Sex kommt (Bars, Parties, Sex-Clubs etc). Das geht nicht immer kostenlos (wäre aber gut). Ein Angebot für Menschen mit weniger Geld, einfach an Kondome zu kommen, ist wünschenswert. Wer Grundsicherung oder vergleichbare Transferleistungen erhält, kann einen Mehrbedarf für Kondomen geltend machen; in Berlin sind das z.B. derzeit 12,94 EUR pro Monat.

Kann ich auf Kondome verzichten?

New Safer Sex heißt heute, dass neben Kondomen andere Maßnahmen zur HIV-Infektionsvermeidung zur Verfügung stehen (und kombiniert werden können). Das bedeutet, dass bei Sex ohne Kondom mindestens eine*r von beiden entweder UN­DE­TECT­ABLE oder auf PrEP ist. Das Vorgehen bleibt Verhandlungssache zwischen den am Sex Beteiligten und es gibt einiges zu beachten:

Vergewissere Dich (Testen!), dass Du STI nicht weitergeben kannst!

Dann kannst Du das vorschlagen und mit Deinem Gegenüber diskutieren und Risiken ausschließen. Dies geht nur, wenn jede*r die letzte Entscheidung darüber behält, was für ihn*sie ein Risiko darstellt (auch wenn der*die andere das überhaupt nicht nachvollziehen kann). Dafür ist ein grundsätzliches Vertrauen in die Situation und Dein Gegenüber Voraussetzung. Es ist an Euch beiden, dieses Vertrauen herzustellen. Das geht nur, indem Ihr miteinander sprecht (oder im Chat schreibt). Du wirst herausfinden, wie gut sich Dein Gegenüber mit der Materie auskennt.

Wenn du positiv bist, ist die Offenlegung Deines HIV-Status (und dass Du ggf. undetectable bist) Voraussetzung für den Verzicht aufs Kondom. Zugleich ist das ein großer Vertrauensvorschuss. Auf dieses Offenlegen kann nur verzichtet werden, wenn der*die andere vorher formuliert, dass er*sie darauf nicht besteht: Das kann der Fall sein, wenn jemand PrEP nimmt oder UN­DE­TECT­ABLE ist und den Immunstatus der*des anderen unwichtig findet.

Idealerweise ist der beste Schutz für beide Beteiligten der gleiche. Kommt es zu diesem Ergebnis nicht, ist “nur” ein Kompromiss möglich. Wenn Du Dir im Laufe des Gesprächs unsicher bleibst: hör und vertrau auf Dein Gefühl dabei! Mach klar deutlich, was für Dich der kleinste gemeinsame Nenner ist. Das können Kondome sein oder die Wahl anderer Praktiken. Es ist überhaupt nicht ok, jemanden zu etwas zu drängen, was er*sie eigentlich nicht will. Das einzufordern, ist das Gegenteil von Vertrauen und Übereinkunft.

Wenn im Nachhinein Unsicherheiten aufkommen: Frag Dein letztes Date nach Immunstatus (letzter Test? Sex/Risiko danach?)! Frag nach Viruslast und STI! Das funktioniert am besten ohne jeden Vorwurf. Wenn das keine Gewissheit bringt und Du berechtigte Sorgen wegen einer HIV-Infektion hast, kannst Du innerhalb von 48 Std. eine PEP machen.

Es wird auch Situationen geben, in denen Diskussionen nicht oder nicht so gut geführt werden können: Beim Cruisen, im Darkroom, in der Sauna. Willst Du hier sicher gehen, sind Kondome und PrEP die beste Lösung.

Sprechen wir von Kondomen, dann hauptsächlich über Arschficken. Dagegen brauchst Du über Kondome bei anderen Praktiken überhaupt nicht nachdenken: weil sie nicht riskant sind (wie Kuscheln, Küssen, Wichsen, Blasen) oder Kondomgebrauch keine Rolle spielt (wie beim Fisten, wo andere Maßnahmen in Frage kommen). Wenn Dir Analverkehr nicht so wichtig ist oder Du da nicht drauf stehst, gibts noch tausend andere Sachen, die Spaß machen. Das hier ist kein Werbetext für Arschficken.

Auf Cruising Apps werfen Profileinträge zu Safer Sex (“immer”, “nie”, “nach Absprache”) die Frage auf, wie heute Safer Sex eigentlich definiert wird. Willst Du mit jemand Unbekanntem Sex haben, bleibt Dir nur herauszukriegen, wie die betreffende Person das genau sieht. Allein Kondom-Sex als „safer“ zu bezeichnen, ist völlig antiquiert. Dagegen macht der Begriff New Safer Sex deutlich, dass heute verschiedene Methoden zur Auswahl stehen. Auch “bare­/bare­back” bedeutet nicht “un­ge­schützt”, wenn zwar ohne Kondome gefickt wird, aber dafür andere Methoden zum Einsatz kommen.

Ob Du Kondome verwenden willst oder in manchen Situationen nicht – das hängt von verschiedenen Faktoren ab und ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es gibt bisher wenig Empfehlungen dazu. Wir haben uns schon einmal in unserem UN­DE­TECT­ABLE-­Text im Kapitel DATES + ANO­NY­MER SEX zu Sex ohne Kondom geäußert.

Kondome beim Sex: Meinungs­verschieden­heiten

Was, wenn eine*r den Verzicht aufs Kondom vorschlägt, der oder die andere aber welche benutzen will (oder umgekehrt)? – Wenn es hier keine Übereinkunft gibt, findet Sex unter Umständen nicht statt. Das kann OK sein oder einfach nur schade. Wenn sich dabei aber eine Seite zurückgesetzt fühlt, kann das ein Problem darstellen.

Sexpartner*innen werden von einigen danach ausgewählt, dass sie (nicht) HIV-positiv sind, (kein) PrEP nehmen oder danach, dass sie Sex (nur) ohne Kondom praktizieren. Besonders deutlich ist das auf Cruising-Apps, wo entsprechende Ansagen manchmal schon im Profil-Text/Chat stehen. Dieses Sortieren wird von den Betreffenden nicht selten ausgrenzend erlebt. Andersherum erleben Leute, die konsequent auf andere Methoden als das Kondom setzen, Ablehnung (“Slut-Shaming”). Wir wünschen uns, dass niemand das ein oder andere erleben muss. Kannst Du etwas dazu beitragen?

Immer dann, wenn beide Seiten strikt auf verschiedene Methoden setzen und auch darauf bestehen, können sie (schon rein logisch) nicht zueinanderkommen. Zumindest nicht, solange eine*r oder beide von ihren Grundsätzen abrücken (wozu niemand gedrängt werden soll). Das kann ein Dilemma sein, das nicht auflösbar ist. Wenn das so ist, ist das so, muss aber nicht zu Diskriminierung führen. Neben der bekannten Ablehnung von HIV-Positiven und Menschen, die PrEP nutzen, ist nun eine neue Ausgrenzung von Kondom-Usern zu beobachten. Das ist nicht in Ordnung. Kondomgebrauch als naiv, gestrig oder altbacken darzustellen, Besserwisserei, pauschales Kondom-Bashing – das ist falsch und unbegründet. Hier wird vergessen: Nicht für jede*n kommen andere Methoden in Frage, nicht alle unter HIV-Therapie sind un­de­tect­able, nicht alle können PrEP machen, nicht alle sind easy mit/ohne Kondom.

Wenn es die Optionen “Kondome beim Sex – Ja oder Nein” gibt, sind Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert. Das ist ganz klar. Was tun? – Darüber reden, was der kleinste gemeinsame Nenner ist! Sich auch in die Perspektive des Gegenübers hineinversetzen. Auf Lösungen gerichtet diskutieren! Dabei den Spaß nicht aus den Augen verlieren. Offen für das Ergebnis sein. Aus einer nicht überbrückbaren Meinungsverschiedenheit kein Drama machen. Auf Praktiken ausweichen, bei denen kein Kondom gebraucht wird usw. usf. – Es gibt viele Strategien, aber kein Rezept.

Wenn Du darüber mit jemand unter vier Augen reden willst, geh zur Aids-Hilfe oder zu einem der Checkpoints (Links: unten).

Das Gummi und die Moral

Der meist unbegründet vorgetragenen Aufforderung, dass, “wer schwulen Sex hat, doch gefälligst Kondome nehmen soll”, möchte man die Doppelmoral direkt (und ohne Gummi und Gel) in den Arsch schieben. Die Wut darüber lässt sich kaum neutral formulieren. Jene Herabwürdigung kommt manchmal von Menschen, die in festen Beziehungen – dank monogamer Konzepte oder Anti-Baby-Pille – in ihrem Selbstverständnis nie Kondome nehmen (müssen). Dazu zählen auch schwule Männer selbst. Besonders seit der Diskussion um die PrEP ist es für einige von ihnen eine Zumutung, dass Leute ihre Risiken selbst abschätzen und damit selbstbestimmt und eigenverantwortlich umgehen.

Wenn keine oder unsachliche Argumente vorgetragen werden, offenbaren sich hier nicht selten homophobe oder (sich selbst) abwertende Einstellungen. Das Kondom wird missbraucht und dreckiger, lustbetonter Sex mit wechselnden Partner*innen herabgewürdigt. Schwule Sexualität wird nur dann akzeptiert, wenn sie sich an die Norm des Kondomgebrauchs hält. Entsprechend gilt das auch für andere Bereiche von Sexualität (Sexwork, Hetero-Sex mit wechselnden Partner*innen, Fetisch-Szene usw). Das alles behindert die Diskussion darüber, wofür wir das Kondom eigentlich brauchen.

Nicht selten wird Kondomgebrauch als moralischer Ausweis benutzt: Bilder von Reinlichkeit als Ausdrücke für vermeintliches Nicht-Infiziert- oder Kranksein (“healthy/­clean/­fit/­sauber” sein) – das verletzt und erzeugt Ausschlüsse. Darüber kannst Du nachdenken und versuchen, Dich davon frei zu machen: frei für eine selbstbestimmte Sexualität. Für diese realitätsfernen Bilder kann das Kondom nichts. Die Bilder sind in den Köpfen.

Wir können hierzulande darüber diskutieren und entscheiden, Kondome zu benutzen. Das ist nicht überall so: In weiten Teilen der Welt propagieren Glaubensträger oder ideologische Führer (meist Männer) den Verzicht aufs Kondom oder gar dessen moralisches Verbot (wie der Papst). Die sich daraus ergebende Unfreiheit, darüber zu bestimmen, wie sich Schwangerschaften verhindern lassen, hat auch Auswirkungen auf Sex von Männern mit Männern. Sex, der nicht der Fortpflanzung dient, wird generell abgelehnt und “homosexuelle Handlungen” juristisch teilweise mit Gefängnis oder in einigen Ländern gar mit dem Tode bestraft. Sex einfach nur aus Spaß (und dafür steht das Kondom hier symbolisch) – das darf nicht sein.

Dagegen stellen wir die Forderung nach Selbstbestimmung. Und die gilt es zu verteidigen. Auch in unserer “westlich-liberalen” Welt versuchen Rechts­po­pu­list*­innen sowie fundamental-klerikale Gruppierungen (welcher Religion auch immer), dieses Recht einzuschränken.

Kondomkunde gehört als Teil der Aufklärung über Sexualität in all ihrer Vielfalt in den Unterricht jeder Schule! Auch wenn für die meisten jungen Menschen das Kondom weiter das Mittel der Wahl sein wird, ist Information zur Wahlmöglichkeit bei den verschiedenen Safer-Sex-Optionen wichtig. Für PrEP z.B. kommt eine bestimmte Gruppe (minderjähriger) Jugendlicher in Frage, dazu muss sie aber davon erfahren. Kondome als einzige Option vorzustellen, ist für eine Beendigung der HIV-Epidemie dagegen nicht ausreichend.

Seit 2017 gibt es in der BRD eine Pflicht zum Kondomgebrauch bei sexuellen Handlungen gegen Bezahlung (Sexwork). Der Paragraph 32 (Abs.1, ProstitutionsSchutzGesetz) soll die Sexarbeiter*innen schützen, indem er sich – auf dem Papier – an die Kund*innen richtet. Wer für Sex bezahlt, muss dabei per Gesetz also ein Kondom benutzen. In der Praxis wird das durch sogenannte Scheinfreier (das sind Männer aus Ordnungsbehörden) überprüft, die Sexarbeiter*innen aufsuchen. Die Kondompflicht wie auch die anderen Paragraphen für Sexarbeiter*innen im ProstSchutzG sollen die weitreichende staatliche Kontrolle von Menschen in der Sexarbeit legitimieren.

Vom Muss zum Kann: Für Kondome können wir uns heute freier entscheiden. Das ist eine gute Sache, weil normativer Druck wegfällt, der früher oft dazu führte, sich gar nicht zu schützen. Gleichzeitig darf es keine Zwei-Klassen-Prävention geben: Sich z.B. PrEP nicht leisten zu können und dann Kondome benutzen zu müssen, ist entwürdigend. Dagegen treten wir ein.

Das richtige Kondom

Der häufigste Anwendungsfehler ist die Wahl zu großer oder zu kleiner Kondome, was zu Abrutschen oder Reißen führt. Viele wissen das nicht. Einige überschätzen die Größe ihres Schwanzes und kaufen zu große Kondome. Um das zu vermeiden
Falsch ist die Messung der Länge bestimme die Kondomgröße, die zu Deinem/zum betreffenden Schwanz passt. Dieser Wert entspricht der gemessenen Breite des ausgerollten, flachen Kondome. Ihn kann man leider bei Schwänzen nicht messen (die ja nicht flachgedrückt werden können/sollen), sondern nur errechnen.

Das ist aber ganz einfach: Umfang des steifen Schwanzes messen (mit Maßband, am Schaft unten, wo später der Kondom-Ring sitzt), diesen Wert in Millimetern minus 7 und anschließend durch 2 dividieren – schon hast du die richtige Größe. Die Länge ist hierfür unwichtig.

Formel: (Umfang in mm – 7) / 2 = Kondomgröße.

Rechenbeispiel: gemessene 113 mm Umfang minus 7 gleich 106 geteilt durch 2 ergeben eine Kondomgröße von 53 mm. Das entspricht in etwa der Standardgröße von Kondomen (meist Größe M) der meisten Anbieter. MySize® bietet übrigens Kondome in sieben Größen von 47 mm bis 69 mm an.

Die exakte Millimeter-Angabe fehlt sonst auf den Packungen leider oft oder ist völlig unverständlich. Uneinheitlich werden Größen wie S, M, L oder andere Fantasie-Bezeichnungen angegeben. Die Hersteller*innen haben sich leider nicht auf gemeinsame Standards geeinigt und es gibt verschiedene Größen. Das gilt leider auch für die von Aids-Hilfen und Community-Projekten verteilten Produkte, auf denen Größen-Angaben oft ganz fehlen. Dieses Durcheinander führt zu unnötigen Anwendungsfehlern und damit zu vermeidbaren Infektionen. Wir fordern die EU-Kommissarin für Verbraucherschutz und die nationalen Ministerien auf, hier regulierend einzugreifen: Kennzeichnungspflicht von Kondomen nach einheitlichen Maßen (Durchmesser oder besser Schwanzumfang in mm!) auf den Verpackungen und entsprechende Ver­brau­cher­*­innen­-­In­for­ma­tio­nen!

Probier am besten aus, welches das richtig große Kondom für Dich ist.

Ein etwas kleineres Kondom verstärkt Deine Erektion, sitzt enganliegend und ist rutschfester, was für wilderen Sex geeigneter ist, aber nicht alle mögen. Mit einem leicht größeren Kondom spürst Du mehr, weil es lockerer an Deinem Schwanz sitzt, mglw. kommst Du damit schneller. Für maximalen Halt (und Sicherheit) kalkuliere lieber knapp, damit das Gummi nicht so leicht abrutscht. Das fühlt sich für die meisten besser an.

Überschätz’ Deine Größe nicht! Sehr häufig werden zu große Kondome benutzt, was zum Abrutschen führt. Für potentielle Partner*innen hast Du am besten Kondome verschiedener Größen zu Hause. Mit einem Durchmesser von 49 bis 53 mm ist es am wahrscheinlichsten, dass sie passen.

Auch spitze Gegenstände/­Fingernägel oder Luft im Reservoir an der Kondomsspitze können zum Reißen oder Abrutschen führen. Verzichte auf Scheren, Messer oder ähnliches beim Öffnen der Kondomverpackung, sei vorsichtig mit scharfkantigen Fingernägeln oder Zähnen! Drück die Spitze des Gummis beim Abrollen mit Daumen und Zeigefinger zusammen, sodass keine Luft im Kondom verbleibt!

Dickere Kondome (0,1 mm) gelten als geeigneter für Anal-Verkehr, weil sie reißfester sind. Untersuchungen haben gezeigt, dass normal dicke Kondome gleich oft reißen wie dickere, sie sind also genauso sicher. Wenn sich normale Kondome für Dich zu dick anfühlen, können Produkte (wie z.B. skyn®) aus hauchdünnen und reißfesten Materialien eine (allerdings kostspielige) Alternative sein. Auch wenn Du andere Probleme mit Kondomen hast, kannst Du diese mal auszuprobieren.

Ob Kondome aus Naturkautschuk mit Reservoir und Gleitbeschichtung oder Kondome aus Polyurethan (z.B. für Allergiker*innen): In der EU können nur Produkte verkauft werden, die das CE-Zeichen haben und hohe Sicherheitsstandards erfüllen. Alle Qualitätstests zeigen, dass die getesteten Kondome stets sicher bis sehr sicher sind. Unabhängig von Marke, Preis, Beschaffenheit – alle Produkte erhalten stets durchweg mindestens gute Bewertungen. Das gilt allerdings nicht für Spaßkondome (mit lustigen Noppen, Formen, Effekten): Sie sind als Infektionsschutz ungeeignet.

Wenn Kondome verkehrt benutzt oder bereits aufgerollt wurden: nicht noch einmal probieren, sondern ein neues verwenden! Wenn Du das Aufstreifen üben willst, mach das am besten im Dunkeln, dann kannst Du es später, ohne Hinschauen zu müssen.

Benutze ein Kondom beim ausdauernden Ficken nicht länger als eine halbe Stunde.

Gleitgel setzt die Reibung zwischen Haut und Gummi herab. Das fühlt sich besser an und trägt dazu bei, dass das Kondom nicht reißt. Gegenüber Gleitgel kann Spucke Träger einiger STI-Erreger sein. Oft werden Kondome mit Gleitgel beschichtet verkauft. Wie Du Gleitgel selber mixen kannst, findest Du hier.

Die richtige Aufbewahrung: Kondome nie direkter Sonneneinstrahlung, Hitze oder mechanischer Einwirkung (Hosentasche, Portemonnaie) aussetzen! Guter Aufbewahrungsort für unterwegs: Kondom einfach zwischen die Lagen einer Zellstofftaschentuchpackung stecken! Nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums Kondome nicht mehr benutzen (außer für von mehreren benutzte Sex-Toys).

Testen! Testen! Testen!

Regelmäßiges Testen auf STI und HIV ist sinnvoll, wenn Du mindestens einmal im Monat eine*n andere*n Sexpartner*in hast und zwar am besten alle drei Monate Testen. (Für HIV-Tests gibt es hier auch Empfehlungen alle sechs Monate).

Da bei allen Safer-Sex-Methoden (außer bei UN­DE­TECT­ABLE) minimale HIV-Infektionsrisiken bestehen bleiben, ist regelmäßiges Testen angezeigt. Für STI gilt das sowieso. Einmal im Jahr ist hier zu selten: Einige STI/HIV-Infektionen verlaufen symptomlos, bleiben ohne Testen unentdeckt und werden mglw. an andere weitergegeben (bei HIV besonders in den ersten Wochen nach der Infektion). Deshalb und v.a. für Deine eigene Gesundheit und dafür dass STI bei Dir nicht chronisch werden, ist es wichtig, unverzüglich eine Behandlung einzuleiten. Dazu wird mittlerweile auch bei HIV geraten.

Lediglich nach einer eindeutigen Situation (Sex) mit hohem Risiko auf HIV zu testen (wie früher empfohlen), ist nicht mehr zeitgemäß. Hier käme stattdessen der sofortige Beginn einer PEP in Frage (innerhalb 48h), um eine Infektion noch nachträglich zu verhindern. Dabei wird anfangs auch getestet, um eine bestehende HIV-Infektion zu erkennen.

Wichtig zu wissen ist noch: Bei HIV-Tests ist das Einhalten einer 6-Wochen-Frist nach Risikokontakt notwendig. Der Körper muss erst Antikörper bilden, die dann im Blut per Testverfahren nachgewiesen werden. Vorher sind im diagnostischen Fenster keine aussagekräftigen Testergebnisse zu erhalten.

Für STI-Tests sind neben Bluttests oft auch Urinproben und Abstriche (Mund/­Ra­chen, Schwanz/­Va­gi­na und Arsch) notwendig. Da es nicht immer eine Kostenübernahme gibt, kann man hier leider oft nur nach Gefühl oder Verdacht vorgehen und das mutmaßlich Notwendige machen. Das ist nicht ideal. Wenn Symptome zu merken/sehen sind, begib Dich aber unbedingt gleich in ärztliche Behandlung! Berichte dort von den Anzeichen, die du spürst oder siehst: Spätestens bei Symptomen müssen die Krankenkassen nämlich alle Kosten für Tests und Behandlung übernehmen.

Informiere Deine Sex-Partner*innen bei positiven Testergebnissen immer unverzüglich, damit sie selbst zum Test gehen können!

Auf einigen Cruising-Apps kannst Du Deinen letzten Test-Status angeben. Du musst selbst entscheiden, ob Dir das im Internet nicht zu öffentlich ist. Dein Status für alle sichtbar anzuzeigen, zeugt jedenfalls von Deiner Absicht, von Beginn an offen zu kommunizieren. In gewisser Weise kürzt Du auch einen Teil des abklärenden Gespräches bei einem späteren Treffen ab: einige Fakten sind bereits auf dem Tisch. Darüber hinaus wirst Du daran erinnert, mal wieder zum Test zu gehen. Diese Angaben bedürfen allerdings allerhöchster Datenschutzstandards der Apps, besonders bezüglich der User-Daten über einen positiven HIV-Immunstatus.

Update Your Attitude (Fazit)

Das Kondom vor der Zerreißprobe? Oder drohen wir selbst zu zerreißen? Unter der Last von Anforderungen (und all den Freiheiten), alles richtig und allen recht zu machen, Spaß zu haben, auf uns selbst und andere aufzupassen, gesund zu bleiben? – Das Gummi jedenfalls kann viel aushalten. Es wird nicht reißen, weil einige es – aus für sie schlüssigen Gründen – nicht benutzen.

Unsere Risiken einzuschätzen und entsprechend zu handeln – das ist heute oft komplizierter als früher. Das Kondom ist ein Mittel neben anderen geworden, für das wir uns entscheiden können. Es reduziert Infektionsrisiken immer dann, wenn wir es verwenden. Abhängig von Bedürfnissen und Einstellungen ist die Benutzung von Kondomen ein Zusammenspiel von Kommunikation, Entscheidungen und Verhalten. Manchmal konkurriert die Geilheit des Moments mit dem Wunsch, dauerhaft gesund zu bleiben. Es liegt in der Natur der Sache (der Sexualität), dass das nicht immer gelingt. Es gibt dann andere Optionen, wie PrEP, PEP, UN­DE­TECT­ABLE. Auch Testen ist wichtig. Und neben ihnen leisten Kondome einen super Job.

Derzeit ist das Kondom allerdings noch das Symbol des Aids-Traumas, das wir tief in uns tragen. Und das auch für jene, die Aids, Tod und Trauer nur durch Erzählungen mit auf den Weg bekommen haben. Ohne dieses Trauma individuell und kollektiv zu bearbeiten, werden wir kein grundsätzlich neues Verhältnis zu diesem Ding “Kondom” bekommen. Es hat uns geholfen und es wird uns weiterhin helfen, daran nicht zu zerreißen.

Umdenken! Neu denken! Kondome sind kein Schutzschild gegen alles und sie schützen auch nicht zu 100 Prozent. Trotz konsequenter Anwendung werden einige STIs relativ leicht übertragen. Gegen HIV dagegen schützen sie effektiv (aber eben nicht ganz). Hier gibt es mittlerweile weitere Safer-Sex-Maßnahmen. Wenn es keinen Kompromiss gibt, kommen potentielle Sex-Partner*innen mit unterschiedlichen Strategien heute aber leider nicht mehr immer zusammen, (z.B. Nur-PrEP-User mit Nur-Kondom-Usern). Gibt es dafür in Zukunft eine Lösung? Von den Effekten des Kondomgebrauchs profitieren in unseren Szenen jedenfalls auch diejenigen, die sie nicht (immer) benutzen. Gleiches gilt für andere Strategien. Und: Regelmäßige HIV- und STI-Tests sind auch für Kondom-User sinnvoll.

Über all das brauchen wir in unseren Szenen, mit unseren Freund*innen und v.a. mit unseren Sex-Partner*innen eine offene Auseinandersetzung: Vom Muss zum Kann, vom Kuss zum Mann*, vom Frust zum Fun!

Links

Weitere Informationen und Beratung

Mancheck in Berlin
+49 30 4466 8870
mancheck-berlin.de
&
Checkpoint in Zürich
+41 44 455 59 10 www.mycheckpoint.ch/de/standorte/zuerich

HIV-Schwerpunktpraxen (BRD)
hivandmore.de/aerzteverzeichnis

oder Deiner örtlichen Aids-Hilfe in der BRD
0180 33 19 411 (max. 9 ct/Min. dt. Festnetz bundesweit)
Mo-Fr 9-21h + Sa-So 12-14h

und bei einer der Schweizer Aids-Hilfen:
aids.ch/de/ueber-uns/verband/antennen.php


DIE INFOBOXEN AUS DEM TEXT


© LoveLazers, Nov. 2018. Für Fehler keine Gewähr. Danke für Kommentare, Hilfe und Anregungen (Kondom- sowie Lube-Text Nov 2018): Sela Rostock, Doro, Schex, Sven, Timo + Robert (Mancheck Berlin), Päde, Peter, Übersetzung Lube-Text: Jérémy, Iván, Sergio, Gerrit, Jan. Unterstützt von: mikro­disko boom­box, Tunten­haus­hof­fest, Hot Club Zürich/­Koch Areal.

Photo from the „2012-2018 Series“ by Fennec Jackal (Paris). Merci.