Auf Einladung der Pillenrealität leisteten die Lovelazers ihren Beitrag zum “Inhaltsblock” der beliebten Veranstaltung am 27.5.2018 im Institut für Zukunft in Leipzig. Hierfür pausierte der Tanzbetrieb auf der gesamten Veranstaltung für eine Stunde.
Vor 200 Zuschauer*innen proklamierten die Lovelazers zunächst das Prep-Manifesto von SPIT! Anschließend spielten zwei Darsteller in szenischen Skizzen nach, wie es sein könnte, wenn die Kommunikation auf Cruising Apps wie Scruff oder Grindr eins zu eins in das echte Leben verlagert würde.
Der Text “Goethes Faust in meinen Arsch” wiederum präsentierte als ein Patchwork Gedanken zu Intimität und high sein. Marko, Murat, Jonathan und Falk lasen mit verteilten Rollen und gaben Einblick in die Welten schwulen Sexes: Wie sehr bestimmt heute Rausch unser subjektives Begehren, unsere persönlichen Begegnungen und unser sexuelles Erleben? – Diesen Text dokumentieren wir hier.
Goethes Faust in meinem Arsch
Ein Text zu Intimität und high sein
So viele Stimmen in meinem Kopf. Vorbeikommen wollte ich eigentlich noch bei dir, aber dann war ich bei diesen beiden Typen doch länger, alle komplett zuge-g-t, drauf auf allem, was weiß ich, und da hab ich vergessen, dir zu schreiben, dass das nichts mehr wird an dem Sonntag. Naja.
Du kennst mich ja. Was heißt schon „Nein“ in dieser Situation. Das wird irgendwann nochmal richtig schiefgehen. Call me troublesome, but if you say ‚don’t‘ my mind asks ‚why?‘.
Soviel Sex wie nur möglich, – woher hab ich das eigentlich? Oder ist schon die Frage allein Ausdruck meines autoritären Charakters? Erzogen dazu, ein richtiger Mann zu sein, auf Männer stehend zwar, aber immer unterwegs, immer auf der Jagd, keine Ruhe: „Ich kann am längsten“. Nie ist es genug.
Geil. Ficken. Stundenlang. Sperma. Spritzen. Schwänze. Lecken. Lutschen. Stöhnen. Immer weiter ficken. Rein und raus. Wer ist da grad in meinem Arsch? Wer spritzt mir ins Gesicht? So viele Schwänze. Meine Latte steinhart. Ich bin so rattig. Vollgeschwitzt und vollgepisst. Ich fick dich, du geile Sau. Goethes Faust in meinen Arsch. Ich will mehr. Immer weiter. Immer mehr.
Wie high war ich da eigentlich? War das letztes Wochenende? – Bei N., alle in Unterhosen, alle horny, alle soooo hot. Flexibel. Routiniert. Mein Herz ein Stundenhotel. Unten geht die Alarmanlage in einem Auto los. HORNY! HORNY! HORNY! HORNY! HORNY! HORNY!
Wieso soll ich mich denn entschuldigen? Das ist doch nicht meine Schuld, wenn ich drei Tage wach bin und dann mit den beiden Grindr-Typen von neulich durch die Gegend ziehe und dann noch einer dazu kommt und wir die ganze Nacht druff rumficken und der eine Typ drei mal in mir gekommen ist und ich jetzt zu müde bin, hier mitzumachen.
Du: „Irgendwie mag ich Dich.“ – Nach 12 Stunden Tanzen dann der Shortcut für Ganz-Nahsein: ganz viel fühlen, ganz tiefe Blicke, uns ganz vertrauen – alles ganz, beide breit. Ein überlanges Wochenende lang. Und jetzt? – Kurz nachschauen bei Whatsapp, wie du nochmal heißt. Ich hab dir meinen Namen gar nicht geschrieben. Aber gesagt. Deine Finger kann ich noch spüren: meine Wirbelsäule hoch und runter. Immer wieder. Ich muss noch einmal lächeln, wenn ich Dich vor mir auf der Bettkante sehe. Nackt. Magnetisch. Ein Faxenmacher. Aber ganz bei mir. Das ist noch in meinem Kopf. Immer wieder von vorn, wie ein guter ein Film, der nicht aufhört. Wann endet dieses Draufsein und fängt dann was an?
Gedanken müssen rein – Gefühle müssen raus. High sein und Sex, das ist nicht meine Mischung. Ich begegne dann vielleicht, den Dämonen aus den Träumen meiner Kindheit.
Also flieg ich allein. Will landen. Montag ist angepeilt. Doch dann Verpeilung. Jetzt bloß keine Bruchlandung. Also weiterfliegen. Immer weiter. Bis der Treibstoff zur Neige geht. Dann muss ich landen. Im Nebel. Die Lotsen kann ich nicht verstehen. Wird das eine harte Landung? Hab jetzt keine Lust mehr auf Fliegen. Immer fliegen. Immer landen.
Und hier auf dieser süßen Wolke Nr. 7 ist gut Platz für mich, watteweich sitze ich in ihrer Mitte. Und wer am Rand sitzt, der kann runterfallen. Das ist aber gar nicht schlimm, weil alle hier Engelsflügel haben.
“Das ist wohl der Grund, warum ich die Kombi fürchte und meide.” – Ein 1-A-Sonntag, irgendwo bei jemandem Zuhause und die Diskussion dreht sich seit Stunden um: Warum Sex eigentlich nur auf Drogen möglich und geiler ist. Mein Gott, morgen werden sie bereuen, was sie ihr gerade preisgeben. Oder sich an nichts erinnern. Leute, die man nur druff kennt und auch nur druff aushält. Aber mit irgendwem müssen wir unsere Entfremdung ja durchbrechen.
Eine Verbindung. Nice to have. Moment, ich verbinde.
Das erste mal wieder auf einer Techno-Sex-Party, mein Break-Up gerade mal zwei Monate her. Anfangs der Darkroom stundenlang blockiert mit “STI-Testing vor Ort”. Naja, ergibt da ja auch Sinn. Alle warten ungeduldig. Es ist mega-voll. An der Bar so ein Insta-Typ, der hat da keine anderen Bilder, als welche von sich. Die Hälfte Selfies “Oberkörper frei”. Der nimmt jetzt seine Medis per Spritze, ist in so einer Studie. Ganz praktisch. Im Gespräch mit ihm fällt mir plötzlich ein: Ich hab ganz vergessen, mich zu entschuldigen bei Dir für letzten Sonntag, dass ich da nicht gekommen bin.
Endlich allein. Erstmal diese SMS noch schreiben, das will ich seit Stunden schon machen. Was ich dir gestern eigentlich sagen wollte. Das darf ich nicht vergessen. Und dann bin ich ganz mit mir. Keiner nervt.
Was wäre, wenn es sein würde, wie ich es mir wünschte?
Und dann mach ich doch noch das Telefon an.
Fun. Fun. Fun. Lass uns noch was nehmen. Stehst du auf Booty Bump? Something for the weekend. Ohne Alkohol ging bei mir früher eigentlich gar nichts los. Und es gibt keinen einzigen Tropfen hier. Nur diese großen Plastikbomben Softdrinks. Party’N’Play. Das Poppers knallt. Cialis heißt hier “Tool 20”, haha. Die meisten, die ich kenne in der Szene, sind Single. W. war dann noch total para. Der kam gar nicht mehr klar. F. hat übrigens letztens das erste mal geslammt. Und Z. ist weggezogen, weil er sonst nicht raus kommt. Chemsex is here to stay.
Nach Hause zu fahren heisst: endlich zu zweit sein. Ich hab mich ewig nicht so gefühlt wie jetzt. Während wir endlich küssen, uns anfassen, wird mir das klar: das hatte ich sehr sehr lange nicht. Wahrscheinlich klingt das kitschig und ist es wohl auch: endlich spüre ich Nähe, Berührungen, Wärme.
“Ich will dich ficken” sagt er und ich finde das natürlich toll. So geil, so weit draußen, so entspannt. – Es ist wie ein unendlicher Loop in Slow motion: Er fickt mich, wieder und wieder. Dann hab ich Bock auf flippen und sag ihm, dass ich mal will. Als er entgegnet, dass er nur aktiv ist, denke ich: Toll, schon wieder die gleiche Scheiss. In meiner letzten Beziehung konnte ich das jahrelang nicht: der andere sein. Jetzt, liegt neben mir dieser wahnsinnige Typ, aufmerksam, bei mir. Passt wie die Eins, dachte ich. Und jetzt sagt der das. Wie soll das überhaupt gehen? – Haben wir noch was zum Ziehen?
(Lovelazers, Berlin Mai 2018)
Photo: LoveLazers, 2015